Das Zürcher Modell, das nach seiner Urheberin auch als Bruggemann-Modell bezeichnet wird, ist eines der einflussreichsten Modelle der Arbeitszufriedenheit (Baumgartner & Udris, 2005, S. 112). In ihrem klassischen Artikel (Bruggemann, 1974) diskutiert Bruggemann den Befund, dass in Zufriedenheitsumfragen häufig ein hoher Anteil zufriedener Arbeiter gefunden wird. Dies führt sie darauf zurück, dass Zufriedenheit nicht nur aus einer tatsächlichen Befriedigung, sondern auch aus einer Senkung des Anspruchsniveaus oder einer Verzerrung der Wahrnehmung resultieren kann. Eine rein quantitative Betrachtung der Arbeitszufriedenheit kann folglich zu Interpretationsproblemen führen. Um diesem Problem zu begegnen, schlägt Bruggemann vor, Arbeitszufriedenheit qualitativ zu differenzieren. Diese Qualitäten entstehen in Folge von drei Prozessen, weswegen das Modell auch als „motivations-dynamische[s] Prozess-Modell“ bezeichnet wird (Baumgartner & Udris, 2005, S. 112). Die drei Prozesse, auch Kernvariablen genannt, umfassen den Soll-Ist-Wert-Vergleich, die Anspruchsniveauregulation und das Problemlösungsverhalten.
Wie entstehen Zufriedenheit und Unzufriedenheit?
Bruggemann (1974, S. 283 – 284) beschreibt den Entstehungsprozess der verschiedenen Zufriedenheitsqualitäten wie folgt: Zunächst findet ein Vergleich zwischen den erwarteten und den tatsächlichen Möglichkeiten zur Bedürfnisbefriedigung statt. Entsprechen die tatsächlichen Möglichkeiten den Erwartungen, entsteht stabilisierende Arbeitszufriedenheit. Diese lässt sich in Abhängigkeit des Anspruchsniveaus weiter differenzieren: Eine Erhöhung des Anspruchsniveaus führt zur progressiven Arbeitszufriedenheit. Wird das Anspruchsniveau aufrechterhalten, resultiert stabilisierte Arbeitszufriedenheit. Bleiben die tatsächlichen Möglichkeiten zur Bedürfnisbefriedigung hinter den Erwartungen zurück, entsteht diffuse Unzufriedenheit, die ebenfalls weiter differenziert wird. Eine Senkung des Anspruchsniveaus führt zu einer „formal positiven Ausprägung von Arbeitszufriedenheit“ (Bruggemann, 1976, S. 283), die als resignative Arbeitszufriedenheit bezeichnet wird. Wird trotz (diffuser) Unzufriedenheit am Anspruchsniveau festgehalten, ergeben sich weitere Subtypen in Abhängigkeit der Problemlösungsversuche. Von konstruktiver Arbeitsunzufriedenheit wird gesprochen, wenn neue Problemlösungsversuche unternommen werden. Geschieht dies nicht, so ergibt sich resignative Arbeitszufriedenheit. Wenn versucht wird, die Probleme durch psychologische Abwehrmechanismen wie z. B. Verdrängung oder Situationsverfälschung zu bewältigen, resultiert Pseudo-Arbeitszufriedenheit. Die Verarbeitung der (Un-)Zufriedenheit wirkt sich wiederum auf die Entwicklung weiterer Erwartungen und Bedürfnisse aus, was zu einem Wechsel des Zufriedenheitstyps führen kann (Bruggemann, Großkurth, & Ulich, 1975, S. 135). Ein mögliches Szenario wäre z. B., dass die steigenden Ansprüche einer progressiv zufriedenen Person zu einem negativ-diskrepanten Soll-Ist-Wert-Vegleich führen. Die Person könnte dann im Falle einer Anspruchsniveausenkung in den resignativ zufriedenen Typ wechseln.
Kritik und Weiterentwicklung
Wenngleich das Zürcher Modell als innovatives und einflussreiches Modell der Arbeitszufriedenheit gilt (Baumgartner & Udris, 2005, S. 112), wurde es kritisch rezipiert. Die Kernvariablen des Modells werden laut Büssing (1991, S. 90 – 91) nicht hinreichend erläutert. Es wird weder deutlich, was die Soll-Werte beinhalten und wie sie mit den Ist-Werten verglichen werden, noch wird der Begriff des Anspruchsniveaus expliziert. Verschiedene Autoren kritisieren die Unvollständigkeit des Modells (Baumgartner & Udris, 2005, S. 166; Ferreira, 2009, S. 180). Obwohl es theoretisch möglich ist, aus den Kernvariablen weitere, bisher nicht berücksichtigte Arbeitszufriedenheitstypen abzuleiten, können die Kernvariablen laut diesem Modell nur in bestimmten Kombinationen auftreten. Beispielsweise ist eine Erhöhung des Anspruchsniveaus als Reaktion auf diffuse Unzufriedenheit im Modell nicht vorgesehen. Es wird jedoch argumentiert, dass die zusätzlichen Zufriedenheitstypen nicht nur theoretisch möglich, sondern auch inhaltlich sinnvoll sind. Zudem vernachlässigt das Modell positiv-diskrepante Soll-Ist-Wert-Vergleiche, obwohl diese bereits empirisch belegt wurden (Ferreira, 2009, S. 180).
Die Kritik führte zu einer ersten Erweiterung des Bruggemann-Modells durch Büssing (1991), die neben der theoretischen Fundierung des Soll-Ist-Wert-Vergleichs und des Anspruchsniveaus vor allem in der Einführung einer vierten Kernvariable, der wahrgenommenen Kontrollierbarkeit, bestand. Die Dynamik der Arbeitszufriedenheit wird laut Büssing (1991, S. 94) in zweifacher Weise durch die wahrgenommene Kontrollierbarkeit beeinflusst: Zum einen kann das Fehlen von Kontrollwahrnehmung zu einer Ursache von Arbeitsunzufriedenheit werden, zum anderen kann Kontrollierbarkeit als Ressource zur Bewältigung von Unzufriedenheit fungieren. Im erweiterten Modell ergeben sich die globalen Zufriedenheitsmaße nicht mehr allein aus dem Soll-Ist-Wert-Vergleich, sondern aus dem Zusammenspiel von Soll-Ist-Wert-Vergleich und wahrgenommener Kontrollierbarkeit (siehe Abbildung). Der Typ „resignative Arbeitszufriedenheit“ resultiert beispielsweise aus der Kombination eines negativ-diskrepanten Soll-Ist-Wert-Vergleichs und wahrgenommener Unkontrollierbarkeit. Die Unkontrollierbarkeit der Situation führt dazu, dass keine aktiven Problemlösungsversuche unternommen werden, sondern stattdessen versucht wird, die Diskrepanz über eine Herabregulierung der Erwartungen und Ziele auszugleichen (Büssing et al., 2005, S. 138).
Auch das durch Büssing erweiterte Modell wurde aufgrund seiner Unvollständigkeit kritisiert. Ferreira (2009, S. 180) merkte an, dass ein kongruenter Soll-Ist-Wert-Vergleich nicht zwangsläufig mit wahrgenommener Kontrollierbarkeit einhergehen muss. Auch das Problem der Nichtberücksichtigung positiv-diskrepanter Soll-Ist-Wert-Vergleiche besteht weiterhin. Aus diesen Gründen erweiterte Ferreira (2009) das Modell um alle kombinatorisch möglichen Arbeitszufriedenheitstypen. Zudem entwickelte sie den Fragebogen zur Erhebung von Arbeitszufriedenheitstypen (FEAT), mit dem sich die postulierten Zufriedenheitstypen empirisch ermitteln lassen. Der Befund, dass sich in ersten Untersuchungen eine Vielzahl verschiedener Typen ermitteln ließen, bestätigt die Annahme bisher unberücksichtigter Arbeitszufriedenheitstypen (z. B. Ferreira, 2009; Süß & Haarhaus, 2013).
Quellen
Baumgartner, C., & Udris, I. (2005). Das „Zürcher Modell“ der Arbeitszufriedenheit – 30 Jahre „still going strong“. In L. Fischer (Hrsg.), Arbeitszufriedenheit (2. Aufl., S. 111 – 134). Göttingen: Hogrefe.
Bruggemann, A. (1974). Zur Unterscheidung verschiedener Formen von „Arbeitszufriedenheit“. Arbeit und Leistung, 28, 281 – 284.
Bruggemann, A. (1976). Zur empirischen Untersuchung verschiedener Formen von Arbeitszufriedenheit. Zeitschrift für Arbeitswissenschaft, 30, 71 – 74.
Bruggemann, A., Großkurth, P., & Ulich, E. (1975). Arbeitszufriedenheit. Bern: Huber.
Büssing, A. (1991). Struktur und Dynamik von Arbeitszufriedenheit: Konzeptuelle und methodische Überlegungen zu einer Untersuchung verschiedener Formen von Arbeitszufriedenheit. In L. Fischer (Hrsg.), Arbeitszufriedenheit (S. 85 – 113). Stuttgart: Verlag für angewandte Psychologie.
Büssing, A., Herbig, B., Bissels, T., & Krüsken, J. (2005). Formen der Arbeitszufriedenheit und Handlungsqualität in Arbeits- und Nicht-Arbeitskontexten. In L. Fischer (Hrsg.), Arbeitszufriedenheit (S. 135 – 159). Göttingen: Hogrefe.